Dienstag, 14. Februar 2012

Pippelwichs der Woche

Es ist mal wieder soweit: Der aktuelle "Pippelwichs der Woche" läuft zum Thema "Der Richter und sein Henker". Na, das kann ja was geben...

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PIPPELWICHS DER WOCHE: DER RICHTER UND SEIN HENKER

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Beitrag von Leberecht von Kotze:
Der anstrengende Kampf gegen das Schornsteinfeger-Monopol

Zumindest in seinem Kopf war es kälter als sonst um die Jahreszeit. "Ich bin doch eigentlich gar nicht so einer", dachte sich Ferdinand Braun. Und er hatte Recht. Es sah ihm nicht ähnlich, mit einer frisch geschliffenen Machete, die er kurz zuvor einem nicht sehr vertrauenserweckenden illegalen Waffenhändler für einen horrenden Preis abgekauft hatte - wohlgemerkt ohne eine Quittung dafür zu erhalten -, vor der Wohnungstür eines alten Mannes darauf zu warten, ein Kapitalverbrechen zu begehen. Er hatte noch nie wissentlich gegen das Gesetz verstoßen, konnte sich nicht mal an einen Strafzettel für Falschparken erinnern.
Er klopfte. Es dauerte eine Weile, bevor man aus der Wohnung dumpfe Laute wahrnehmen konnte, die darauf hindeuteten, dass sich jemand in Bewegung gesetzt hatte. Vier Zimmer, vielleicht auch fünf, schätzte Braun, mit Sicherheit 110 Quadratmeter. Es war bestimmt eine hübsche Wohnung, zu der er sich gleich Zutritt verschaffen würde. Schön gelegen, wahrscheinlich großzügig geschnitten und mit Sicherheit Eigentum.
Langsam, sehr langsam kamen leise Schritte näher. Braun meinte, Filzpantoffeln auf Holz zu hören. "Bestimmt echte schön aufbereitete Dielen und kein billiges Imitat", dachte er und konnte sich ein zynisches Grinsen nicht verkneifen, als er sich vorstellte, wie er den Bodenbelag schon bald in Blut tränken würde. "Das kriegt ihr nie wieder raus…"
Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete sich die weiße Haustür einen Spalt und ein kleines, verkümmertes, von Alter, Krankheit und unsinnigem Reichtum gebeugtes Männlein streckte seinen grauen, schrumpeligen Kopf heraus. "Kann ich Ihnen helfen?" fragte eine für die zerfallene Gestalt noch erstaunlich kräftige Stimme. "Das weiß ich nicht", antwortete Braun ruhig, "aber um Hilfe geht es mir auch nicht. Lassen Sie mich rein, wir müssen reden." Mit diesen Worten schob der kräftige Mittdreißiger die Tür und mit ihr den Hausherrn ohne großen Widerstand beiseite und verschaffte sich uneingeladen Zutritt zur Wohnung.
"Aber, Moment mal…", wollte der alte Mann gerade protestierend ansetzen, als ihm auch schon ein gut getimtes "Aber am Arsch!" als Antwort um die Ohren flog und er mit ungläubigem Blick sein fahles Gesicht in der Spiegelung der absurd langen Machete betrachtete. Der alte Mann vergaß für einen Moment zu atmen, verschluckte sich dann und musste Husten, wobei sich sein spiddeliger Körper erst schüttelte und dann zusammenkrampfte wie eine Spinne, wenn sie den Lebensmut verliert. In einem Reflex, gegen den er nicht ankämpfen konnte oder wollte, klopfte Braun dem Alten sanft auf den Rücken und sagte so etwas wie: "Shhhhhh, ganz ruhig, es wird alles gut." Im selben Moment schämte er sich für die infame Lüge.
Der Alte krächzte und keuchte, wie es nur alte Menschen können, wenn sie sich verschlucken, und Braun suchte und fand den Weg in die Küche, um ihm ein Glas lauwarmes Leitungswasser zu holen. Der alte Mann nahm das Glas, dessen Inhalt bei der nächsten trockenen Husten-Attacke wild hin- und herschwappte. Mit rot unterlaufenen, tränenden Augen, nahm der Alte einen kleinen Schluck. Während er trank, schaute er Braun über den Glasrand mit einer Mischung aus Dankbarkeit und Misstrauen an.
"So, das reicht - genug Vorgeplänkel für einen stimmungsvollen Aufbau dieser kleinen Episode", sagte Braun, der langsam unruhig wurde, und nahm dem alten Wohnungseigentümer das Glas ab. "Bitte, nach Ihnen!" Er wies dem Alten den Weg in Richtung Wohnzimmer und machte deutlich, dass er keine Zeit für weitere Husten-Anfälle hatte, sondern langsam zur Sache kommen wollte.
"Wenn Sie Geld wollen…", setzte der Alte an, während er vor Braun über den Flur stolperte. "Unfug!", unterbrach ihn Braun. "Geld ist was für Anfänger. Ich will Gerechtigkeit." Der Alte drehte sich um und starrte Braun mit unsicherem Blick an. "Kennen wir uns? Ich meine, habe ich Sie vielleicht…"
"Nicht dass ich wüsste", entgegnete Braun sofort. "Es geht hier auch nicht um etwas Persönliches, falls Sie das meinen. Aber bevor wir so richtig loslegen, möchte ich eine einfache Regel aufstellen. Es wird die einzige Regel für heute sein, aber sie ist sehr wichtig, also hören Sie genau zu. Sie haben insgesamt neun Fragen frei, die Sie mir stellen dürfen. Ich werde auf jede Ihrer Fragen geduldig und aufrichtig antworten. Bei der zehnten Frage nehme ich diese Machete und spalte Ihnen den Schädel. Danach werde ich ihre Extremitäten abtrennen und in der ganzen Wohnung verteilen - einfach so. Dann gehe ich nach Hause und bestelle mir eine Schinken-Pizza. Haben Sie das verstanden?" Der Alte war sich jetzt sicher, dass er einem Geisteskranken ausgeliefert war und dass er den Nachmittag nicht überleben würde. Erschöpft und verwirrt ließ er sich in seinen alten Lehnsessel fallen, als die beiden im Wohnzimmer angekommen waren. "Ich fürchte ja", sagte er ruhig und nickte.
"Sehr gut", entgegnete Braun. "Ich muss Sie fairerweise darauf hinweisen, dass die Regel schon in Kraft war, bevor ich Sie aufgestellt habe. Das heißt, dass Sie zwei Ihrer neun Fragen schon verplempert haben. Achten Sie genau darauf, was Sie sagen und stellen Sie nicht die zehnte Fragen - sonst… na, Sie wissen schon. Zwingen Sie mich bitte nicht dazu, das wäre nämlich eine ziemliche Sauerei!"
"Aber, ich fürchte, ich weiß immer noch nicht, was Sie von mir wollen…" stammelte der Alte. "Ich meine, wenn ich Sie mal - also, wenn ich Sie irgendwann zu Unrecht verurteilt hätte, dann täte mir das leid, aber Fehler passieren nun mal. Wir sind alle nur Menschen, oder?"
Braun ließ sich ein bisschen Zeit, atmete tief durch und streckte drei Finger seiner rechten Hand in die Luft, um dem Alten klarzumachen, dass er schon wieder unvorsichtig eine Frage verschwendet hatte. Er stand, während der Alte in seinem Sessel kauerte und von dem großen Möbel fast verschluckt wurde. Braun schaute sich im Raum um, ging zum Fenster und warf einen Blick hinaus. 'Hübsche Aussicht', dachte er, während er sagte: "Ich weiß nicht, ob wir alle nur Menschen sind bzw. was Sie mir damit sagen wollen, es ist mir aber auch herzlich egal. Es geht mir hier nicht um Sie als Mensch, sondern um Sie als Symbol. Ich bin heute hier bei Ihnen zu Gast", bei diesen Worten wandte er sich vom Fenster ab und wieder dem Alten zu, der sich mit seinen etwas zu langen Fingernägeln in das Polster auf den Armlehnen seines Sessels krallte, "um Sie zur Verantwortung zu ziehen. Nicht für etwas, das Sie getan haben - sondern für das, was Sie sind bzw. waren."
"Aber, aber das ist doch - ich verstehe das immer noch nicht…", versuchte es der Alte wieder, obwohl er langsam zu verstehen begann. "Warum gerade ich?"
"Wenn Sie mir zugehört hätten, hätten Sie schon verstanden, dass es nicht um Sie persönlich geht und Sie hätten eine kostbare Frage sparen können", sagte Braun ruhig und musterte dabei die Klinge, die er demonstrativ zwischen sich und den Alten hielt. "Wenn ich richtig informiert bin, sind oder waren Sie Richter. Ist das korrekt?"
"Ja, das stimmt, aber was…" "Wenn Sie immer sofort dazwischen quatschen und dabei so schlecht mit Ihren Fragen haushalten, komme ich ja gar nicht dazu, Ihnen alles zu erklären…" sagte Braun leicht genervt. "Also, Sie sind bzw. waren Richter und stehen damit stellvertretend für das deutsche Rechtssystem, ein System, das nach wie vor zumindest teilweise auf Gesetzen und Normen des Dritten Reichs fußt. Klingelt es jetzt bei Ihnen?"
Der Alte starrte Braun ungläubig an. "Soll das ein Scherz sein? Wollen Sie etwa sagen, dass ich ein Alt-Nazi bin? Das ist doch wohl…"
"Habe ich das denn gesagt?", gab Braun die Frage zurück. "Sie sollten endlich lernen zuzuhören, nicht dazwischen zu quatschen und vor allem, keine unpassenden Fragen zu stellen. Die Antworten sind übrigens Nein. Das ist kein Scherz - zum Scherzen bringe ich nämlich normalerweise keine Machete mit - und obwohl Sie so alt und klapprig aussehen wie… wie…", er suchte nach einem passenden Vergleich, bis es ihm zu blöd wurde "…wie Sie nun mal aussehen, gehe ich davon aus, dass Sie den Zweiten Weltkrieg nur aus glorifizierenden Erzählungen Ihrer Eltern und Großeltern kennen und selber kaum eine Erinnerung an Hitler und seine Schergen haben. Ich kann mir sogar vorstellen, dass Sie als Jura-Student der Nachkriegszeit unbequeme Fragen gestellt und sich kritisch mit dem Versagen Ihrer Eltern-Generation auseinandergesetzt haben. Aber gute Ansätze reichen eben manchmal leider nicht…" 
"Verschwinden Sie, Sie armer Irrer!" schrie der Alte und richtete sich auf. Das Nazi-Thema hatte offenbar neue Kräfte in ihm freigesetzt. Er ging langsam auf Braun zu und ließ sich auch von der glänzenden Machete nicht davon abbringen, dem Eindringling direkt in die Augen zu schauen. "Raus aus meiner Wohnung! Sofort!"
"Sehr gut! Ein Zwischenruf von Ihnen ohne Frage - Sie scheinen doch lernfähige zu sein", entgegnete Braun nach wie vor seelenruhig und drängte den Alten mit zwei Schritten zurück zum Sessel. "Aber einen Moment brauchen wir noch." Mit Zeige- und Mittelfinger der linken Hand übte er sanften Druck auf die rechte Schulter des Richters aus, der ausreichte, um den Alten aus der Vertikalen wieder in sein Wohnzimmermöbel zu befördern. "Hören Sie mir doch erst mal zu. Also, wir haben festgestellt, dass Sie Richter sind oder waren, und ich habe darüber hinaus festgestellt, dass es im deutschen Rechtssystem nach wie vor Gesetze und Regelungen gibt, die so schon im Dritten Reich in Kraft waren bzw. die sogar von den Nazis in Kraft gesetzt wurden. Geben Sie mir soweit Recht?"
"Natürlich gibt es nach wie vor Gesetze aus der Nazi-Zeit, aber haben Sie eigentlich eine Ahnung, wie viele Gesetze wir in Deutschland haben? Das ist doch einfach lächerlich…"
"Tstststs", entgegnete Braun mit erhobenem Zeigefinger. "Ich habe eine einfache Frage gestellt und Sie nicht um Ihre Meinung oder Einschätzung gebeten. Und ich wollte doch keine Gegenfragen hören, weil uns die viel zu schnell ans Ende führen. Die Antwort lautet übrigens: Ja, ich habe eine Ahnung, aber keine sehr präzise. Ich gehe mal von knapp zweieinhalbtausend Bundesgesetzen aus, dazu wahrscheinlich über 50.000 Vorschriften und Verordnungen, aber ich kann mich natürlich täuschen. Zurück zum Thema: Also, Sie als Richter vertreten in meinen Augen ein System, das sich an den Nazis orientiert, und das macht Sie zu einem schlechten Menschen. Das können Sie mögen oder nicht, aber es ist so. Und weil ich derjenige hier im Raum bin, der eine frisch geschliffene Machete dabei hat, sollten Sie jetzt lieber nicht weiter lamentieren, sondern mir auch weiterhin zuhören."
"Aber Sie sind doch offensichtlich komplett irre", echauffierte sich der Alte, zog es dabei aber vor, nicht noch mal aufzustehen. Außerdem achtete er auch genau auf seine Wortwahl und darauf, dass er keine weitere Frage stellte. "Sie können mich doch nicht für ein System zur Verantwortung ziehen, dass ich nicht zu verantworten habe. Ich habe doch nicht entschieden, dass Nazi-Gesetze auch im Nachkriegs-Deutschland in Kraft bleiben sollen - ich weiß gar nicht…"
"In dem letzten Punkt gebe ich Ihnen Recht", sagte Braun. "Wie bitte?", fragte der Alte, der es grundsätzlich nicht schätzte, in seinen Gedankengängen unterbrochen zu werden, es aber aufgrund der prekären Situation in diesem besonderen Fall über sich ergehen lassen musste. "Aber auch nur in diesem allerletzten Punkt", machte Braun weiter. "Sie wissen gar nicht. Genauer noch: Sie wissen gar nichts! Und diese Argumentation von wegen 'Ich habe das nicht zu verantworten, ich habe doch nur gemacht, was mir gesagt wurde, ich bin nicht schuld am System…' Damit brauchen Sie mir gar nicht erst zu kommen, denn so haben alle Deutschen unter den Nazis argumentiert. Also, wenn Sie meinen, sich so aus der Verantwortung stehlen zu können, dann sind Sie auf dem Glatteis, alter Freund."
Dem Richter behagte es überhaupt nicht, dass ihn dieser Wahnsinnige jetzt auch noch als Freund bezeichnete, aber er hatte eingesehen, dass es nichts brachte, mit ihm zu diskutieren. "Okay, die Botschaft ist angekommen. Also, was wollen Sie von mir?"
"Aber das hatte ich doch schon gesagt", antwortete Braun fast ein wenig enttäuscht und erschöpft. "Ich will Gerechtigkeit."
"Und was ist aus Ihrer Sicht Gerechtigkeit?"
"Endlich mal eine gute Frage", entgegnete Braun und nickte anerkennend. Er beugte sich zum Alten runter, bis sein Mund ganz knapp neben dem fast schon unanständig großen Ohr des Richters fast tonlos die Worte hauchte: "Aber leider war das Nummer zehn."
Der Alte riss die Augen und den Mund weit auf, kurz bevor die Klinge sein Gesicht relativ sauber in zwei Hälften teilte. Braun schüttelte den Kopf und sagte: "Schade, dass diese Frage so spät kam!" Dann trennte er wie angekündigt die Gliedmaßen des Alten ab, verteilte sie in der Wohnung, ging nach Hause und bestellte sich eine Schinken-Pizza. "Und ich hätte es ihm so gerne erklärt - wenn er sich nur dieses dämliche 'Wie bitte?' verkniffen hätte", sagte er zu dem Pizzaboten, der etwas verwirrt guckte, aber lieber nicht nachfragte, um sein Trinkgeld nicht zu riskieren.


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Beitrag von The Incredible Dieter:
Das Butterbrot

Es dunkelte. Bärlauch öffnete seine Haustür, für die er noch niemals den Schlüssel vergessen hatte. Schlicht und ergreifend, weil es gar nicht möglich, denn die Tür besaß kein Schloss. Sie war immer offen. So wie meistens der Mund eines bulligen Westschlesiers oder so mancher Hosenstall. Was hatte Bärlauch auch zu verbergen? In jedem seiner Räume hatte er eine Live-Webcam installiert, was seinem Wunsch nach größtmöglicher Transparenz oder seinen widerwärtigen sexuellen Vorlieben geschuldet war, die ihm von noch viel widerlicheren Zeitgenossen eine hübsche Aufbesserung seiner kärglichen Besoldung einbrachte. Und was hatte Bärlauch zu befürchten? All seine Feinde waren bereits gestorben, oder er hatte sie längst eingebuchtet. Nachdem sie gestorben waren. Doch über all dem stand sein Gesundheitszustand, der jegliche Sicherheitsvorkehrung ad absurdum führte. Sein guter Freund und langjähriger Hausarzt, Doktor Pippelwichs, hatte bei ihm vor kurzem Hoden- und Hornhautkrebs im Endstadium diagnostiziert. Bärlauch hatte dies gelassen aufgenommen, er hatte sich sogar ein klein wenig darüber gefreut, denn sein Alter war so weit fortgeschritten, dass Menschen `Donnerwetter´ raunten, wenn sie ihn sahen, und `Uiuiui´, wenn sie ihn dann rochen. Folglich war das Leben seit langem schon sehr beschwerlich für ihn, er schleppte sich durch die Welt, und wozu seine Skrota eigentlich gut waren, wusste er ohnehin schon lange nicht mehr. Bärlauch empfand keine Verbitterung, weil er ein mächtig aufregendes und erfolgreiches Leben geführt hatte. Einmal hatte er sogar Roland Kaiser persönlich getroffen. Kurz, er ertrug sein Schicksal stoisch. Das hatte ihn auch etwas fahrlässig werden lassen, so dass er schon seit geraumer Zeit ohne Hose zum Dienst erschien.
Nun könnte der geneigte, wohltemperierte Leser wild Einspruch erheben und fragen, wie denn so ein alter Sack noch im Dienstverhältnis stehen könne. Doch einmal ganz davon abgesehen, dass wir uns mit solcher Korinthenkackerei nicht aufhalten können, wird es doch in Bärlauchs Bude gleich mächtig spannend, spielt diese Geschichte in einem sehr seltsam und dünnbesiedelten Land, so dass wirklich auf jede Arbeitskraft zurückgegriffen werden muss.
Als Bärlauch endlich seine Wohnung betrat, schaute er im Flur nicht schlecht, sondern leicht dämlich, denn irgendwie hatte er das Gefühl, dass sich jemand in der Wohnung befand, aber er sich nicht daran erinnern konnte, mit jemandem zusammen zu leben. Und Besuch hatte er auch nie.
Zum einen wegen seiner einzigartigen Intuition hatte er haarscharf darauf geschlossen, dass er ungebetenen Besuch hatte, zum anderen weil es aus seinem Arbeitszimmer mächtig nach Pfeifenqualm roch. Weiter kombinierte er, um wen es sich bei dem Eindringling handeln konnte, nein sogar musste. Denn wir hatten ein klein wenig geschwindelt, als wir vorhin behaupteten, dass er wirklich alle Gegner eingebuchtet hätte. Sein Intimfeind, obwohl sie nie in ein Unterleibsrambazamba miteinander verwickelt waren, der große Verbrecher Eduard von Gedöhns, musste doch den Unfall überlebt haben, der aber nicht wirklich spannend war, weswegen wir nicht näher darauf eingehen müssen, und wartete nun in Bärlauchs Arbeitszimmer auf ihn. Dieser konnte von Gedöhns ganz und gar nicht leiden. Nicht weil sie schon seit Jugendzeiten Antagonisten waren, sondern weil von Gedöhns einen Vornamen hatte.
So, genug Heckmeck, dachte sich Bärlauch, wird Zeit, dass jetzt endlich mal was passiert und ein zünftiger Dialog stattfindet, so ist diese blöde Geschichte schon fast halb vorbei und es kam noch nicht einmal ein zünftiger Dialog vor. Er zog seinen Mantel und auch sein Hemd aus und betrat lediglich in feinstem Feinripp sein Arbeitszimmer. Von Gedöhns, genauso verschrumpelt und leicht bekleidet wie Bärlauch, saß seelenruhig paffend in Bärlauchs Sessel, dieser Lauser, und begrüßte den verblüfft Eintretenden mit einem der angespannten und ein klein wenig erotischen Situation unangemessenem `Grüezi, alter Kirchenumschubser´. Bärlauch blieb nichts anderes übrig, als sich auf einen harten und am Hintern angenehm kalten Stuhl gegenüber von von Gedöhns zu setzen. Er zündete sich eine Cohiba an und sagte mit bedrohlicher Stimme zu seinem Gast:
„Von Gedöhns, du widerlicher Schurke. Was willst du hier?“
„Ich könnte natürlich sagen“, antworte Eduard gänzlich unbeeindruckt, „dass ich mich verlaufen und unsere beiden Wohnungen miteinander verwechselt hätte. Doch wir wissen beide, dass dies eine teuflisch gute Lüge wäre. Du weißt genau, Bärlauch alter Freund, warum ich hier bin.“
„Nenn mich nicht Freund. Das mit dem Ferienlager ist lange her. Jetzt wo es zu Ende geht, willst du also deinen vermeintlichen Triumph genießen. Ich werde dir dieses Verbrechen niemals verzeihen.“
„Du meinst, dass ich deine Frau und deine Tochter missbrauchte und anschließend zersägte und du mich nicht überführen konntest?“
„Nein“, antworte der Alte finster. Also der Kommissar. „Sondern, dass du mir meinen Außenspiegel abgefahren hast. Vorsätzlich, du Monster!“
Von Gedöhns brach in ein schauerliches, fast könnte man sagen diabolisches Gelächter aus. Aber schauerlich reicht. Es roch nach Urin. Man konnte jedoch nicht mit Sicherheit ausmachen, wer von den beiden alten Herren nicht ganz dicht gehalten hatte. Nachdem sich Eduard wieder einbekommen hatte, sagte er triumphierend:
„Siehst du, Bärlauch. Ich hatte es dir geweissagt, dass ich eines fernen Tages ein so abscheuliches Verbrechen begehen würde, dass du dich davon nicht mehr erholen und dessen du mich nicht überführen könntest.“
„Das hast du“, entgegnete Bärlauch knapp und fragte sich, ob er am Morgen die Blume gefüttert und die Katze gegossen hatte.
„Der große Kommissar Bärlauch“, sagte von Gedöhns, der anscheinend noch nicht genug vom Triumphieren hatte, „muss seinen größten Fall ungesühnt lassen, weil er keine Beweise hat, und sich vor seinem größten Gegner verneigen.“
„Du hattest Recht“, erwiderte der Kommissar, „dass ich dich dieses ungeheuerlichen Verbrechens nicht würde überführen können. Doch noch ist das Spiel nicht vorbei. Glaub mir, bevor ich gehe, werde ich dir einen Henker schicken, und du wirst für etwas bestraft werden, was du nicht getan hast, und damit deine gerechte Strafe erhalten.“
„Das macht doch gar keinen Sinn!“, protestierte von Gedöhns. „Das ist doch scheiße! Du bist ein schlechter Verlierer. Ich will jetzt meinen Wetteinsatz.“
Nun war es Bärlauch, der lächelte.
„Bis der Streit geklärt ist“, sagte er, „bleibt die getragene Unterwäsche von Heidi Kabel im Bankschließfach. Und nun verschwinde, du Stelzbock, oder ich fange an zu singen und ziehe mich weiter aus.“
„Gut“, erwiderte von Gedöhns und erhob sich schwerfällig aus Bärlauchs Sessel, woraufhin die Frage, wer hier nicht ganz dicht war, eine Beantwortung erfuhr. „Die Zeit läuft dir davon, Bärlauch. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich triumphieren werde.“
Sagte es, streifte sich den Satin-Bademantel über und ließ den Alten allein.
Bärlauch lächelte noch immer und erhob sich noch theatralischer und unter lauten Wehklagen über die Gebrechen des Alters und die Preiserhöhung für Butter. Da aber niemand anwesend war und er folglich kein Mitleid erfahren konnte, unterließ er das Wehklagen recht zügig wieder und trabte ins Badezimmer. Dort begutachtete er die Entwicklung seiner Hämorrhoiden mit einem Handspiegel.
Nachdem von Gedöhns wieder zu Hause angekommen war, kratzte er sich am Sack und echauffierte sich innerlich:
Dieser doofe Bärlauch, will einfach nicht zugeben, dass ich ihm überlegen bin und er verloren hat. Ich könnte jetzt so schön an dem Schlüpper schnüffeln. Aber ich werde nicht aufgeben. Und wie sollte es ihm gelingen, mich für etwas zu überführen, dass ich gar nicht begangen habe, wenn er es schon nicht bei Begangenem vermag.
Das Klingeln an der Tür unterbrach von Gedöhns in seinen Gedanken.
Ich habe doch, setzte er wieder an, das kleine Thai-Mädchen erst für acht bestellt.
Eduard schleppte sich zur Tür und öffnete. Vor ihm stand ein Mann in einem dunklen Mantel, der finster dreinblickte und ihm einen Ausweis vor die Nase hielt.
„Ungemütlich“, sagte er in militärischen Ton, „von der GEZ.“
Ja, selbst in diesem kleinen, beknackten Land gab es eine Gebühreneinzugszentrale. Gute Dinge setzen sich eben überall durch.
„Was wollen Sie von mir?“ fragte von Gedöhns genervt und ohne zu bemerken, dass sich die Kordel seines Bademantels gelöst hatte.
„Wir haben einen anoymen Hinweis erhalten“, fuhr der GEZ-Typ fort, „dass Sie Rundfunkgeräte zum Empfang bereit halten, die Sie nicht angemeldet haben.“
„Unfug“, erwiderte Eduard, der nun erleichtert war, weil er von diesem neumodischen Schnickschnack nie etwas gehalten hatte und sich folglich fein raus sah.
„Darf ich mich bitte kurz persönlich vergewissern?“
„Meinetwegen“, antwortete von Gedöhns und ließ Ungemütlich in seine Wohnung, „aber machen sie schnell, ich erwarte noch Besuch.“
„Und was ist das hier?“, fragte der GEZ-Mensch, nachdem er das Wohnzimmer betreten hatte.
Eduard traute seinen Augen nicht. Da stand doch wahrlich und wahrhaftig ein Riesen-Plasma-Fernseher auf seiner Kommode.
„Bärlauch!“, schrie von Gedöhns mit zusammen geballten Fäusten. „Du Schwein! Der Schlüpper gehört mir!“

Am anderen Ende der Stadt hielt Bärlauch einen Moment im Badezimmer inne und grinste breit in den Spiegel. Danach fuhr er seelenruhig damit fort, sich den Rücken zu rasieren.

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